Rückblick zur Fachtagung "ST meets VT"
Interview mit Tobias Büttner von der DGVT Aus- und Weiterbildungskommission (AWK) zur DGVT-Fachtagung „Systemische Therapie meets Verhaltenstherapie – an involving affair: Die Vielfalt der Lebens- und Beziehungsentwürfe“
"Ich habe sehr viel Neues mitgenommen"
DGVT: Wie war das Treffen von ST und VT?
Tobias Büttner: Das Tagungsformat Systemische Therapie meets Verhaltenstherapie“, das die DGVT gemeinsam mit den systemischen Verbänden DGSF und SG plant und durchführt, fand dieses Jahr bereits zum dritten Mal statt. Nachdem die Veranstaltung 2021 aufgrund der Corona-Pandemie noch online stattfand, war es diesmal schön, sich wieder „live“ zu treffen. Die Tagung lebt von ihrer besonderen Atmosphäre, in der Kolleg*innen, deren Arbeit auf unterschiedlichen Therapieschulen basiert, sich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede austauschen. Dies merkt man in den Workshops und Vorträgen selbst, aber auch in den lebhaften Gesprächen in den Pausen oder beim gemeinsamen Abendessen. Auch die Angebote selbst unterscheiden sich bei diesem Tagungsformat von anderen Tagungen. Diesmal fand zum Beispiel ein „Live“-Rollenspiel einer Therapiesitzung mit Schauspielklient*innen statt, die durch ein Reflecting Team ergänzt wurden. Dies ist eine Methode aus der systemischen Therapie, bei der ein Team von Beratenden/Therapeut*innen den Fall der Klient*innen diskutiert, während diese als auch die/der Therapeut*in beziehungsweise Berater*in selbst zuhören. Das Besondere dabei war, dass das Team aus Verhaltens- als auch systemischen Therapeut*innen zusammengesetzt war.
DGVT: Wo haben sie sich getroffen? (Wörtlicher und übertragener Sinn)
Tobias Büttner: Die Tagung selbst fand in Erfurt statt. Wir haben uns diesmal bewusst für einen Ort entschieden, der aus verschiedenen Teilen Deutschlands, Österreich und der Schweiz gut erreichbar ist und der eine schöne Atmosphäre bietet, um in der freien Zeit entspannen zu können. All dies bietet Erfurt mit der schönen Altstadt und den vielen kleinen Orten, um zu verweilen und sich zu erholen. Übertragen gesehen merke ich persönlich häufig, dass sich Therapieschulen nicht unbedingt immer in dem unterscheiden, was ein*e Therapeut*in tut, sondern eher wie die Person denkt und Prozesse einordnet. Natürlich gibt es auch verfahrensspezifische Methoden, aber es kommt oft vor, dass es im therapeutischen Handeln in der konkreten praktischen Umsetzung Ähnlichkeiten gibt, zum Beispiel bei der Aktivierung von Ressourcen der Klient*innen.
DGVT: „An involving affair“ war der Titel – kannst du die Angelegenheit/Beziehung beschreiben? („involviert“ meint eingeschlossen, beteiligt, verwickelt…)
Tobias Büttner: Nachdem die erste Tagung 2017 in Münster noch ein Kennenlernen von ST und VT war (also eine „curious affair“) und sich die „Beziehung“ zwischen den beiden Verfahren 2021 im Rahmen der Online-Tagung weiterentwickelte („evolving affair“), haben wir uns diesmal für die „involving affair“ als Titel entschieden, da dieses Wort aufgrund der Mehrdeutigkeit aus unserer Sicht besonders gut passt. Besonders deutlich wurde dies zum Beispiel in der Eröffnungsveranstaltung in unserem Reflecting Team, das aus systemisch und verhaltenstherapeutisch arbeitenden Kolleg*innen bestand. Aber auch das Organisationsteam selbst besteht aus Kolleg*innen aus beiden Bereichen und hat sich mittlerweile zu einem eingespielten Team entwickelt.
DGVT: Das Thema der Tagung war „Vielfalt in Beziehungen“ – welche Inhalte dazu kamen zur Sprache?
Tobias Büttner: Die Workshops beinhalteten Themen wie Polyamorie, Aromantik, Beziehungsanarchie und Co-Parenting, BDSM und Psychotherapie, trans*Personen in der Psychotherapie als auch systemische sexualtherapeutische Methoden und Methoden der Auftragsklärung in der Paartherapie.
DGVT: Welche Herausforderungen bringt das Thema für Psychotherapeut*innen mit oder warum ist es überhaupt wichtig?
Tobias Büttner: Als Therapeut*in oder Berater*in begegnen wir täglich der Herausforderung, Personen in ihrer Individualität und Vielfalt begleiten zu dürfen. Dies beinhaltet, dass unsere Arbeit abwechslungsreich ist und uns immer wieder neugierig werden lässt auf die individuelle Art und Weise, wie eine Person ihr Leben führt und in Beziehung zu anderen steht. Es bedeutet aber auch, immer wieder dazuzulernen und verschiedene Blickwinkel einzunehmen. Gerade dafür sind Tagungen wie ST meets VT hilfreich, bei denen man sowohl in den Veranstaltungen selbst als auch im Austausch mit Kolleg*innen viel lernt.
DGVT: Sind Beziehungskonstellation und/oder sexuelle Ausrichtung überhaupt wichtig – geht es doch immer um zwischen menschliche Beziehungen?
Tobias Büttner: Es geht immer um zwischenmenschliche Beziehungen und die Herausforderungen, die mit diesen verknüpft sind. Allerdings gibt es zum einen Diskriminierungs- und Stigmatisierungserfahrungen, mit denen Personen durch unsere Gesellschaft konfrontiert werden, und die wiederum Einfluss auf die Psyche und soziale Beziehungen nehmen, zum Beispiel wenn man an den Stress durch Diskriminierungserfahrungen von trans*Personen denkt. Zum anderen können soziale Prozesse komplexer werden, wenn zum Beispiel mehr Personen in der Beratung teilnehmen (zum Beispiel im Rahmen der Beratung von polyamoren Beziehungskonstellationen), da mehr und verschiedene Aufträge an die beratende Person gestellt werden könnten.
DGVT: Welche Veranstaltung hat dich persönlich am meisten begeistert/überrascht/dir gefallen?
Tobias Büttner: Ich habe am Workshop „Vom Können zum Wollen – Der Lust auf der Spur (ein Einstieg in die systemische Sexualtherapie)“ bei Dörte van Benthem Favre teilgenommen. Dieser hat mir sehr gut gefallen. Von anderen Teilnehmer*innen habe ich auch positive Rückmeldungen zu den anderen Workshops erfahren. Zudem hat mir das Live-Rollenspiel sehr gut gefallen, da dies auf verhaltenstherapeutisch geprägten Veranstaltungen eher unüblich ist und ich es interessant finde, therapeutische und beratende Prozesse direkt zu erleben.
DGVT: Was war neu für dich?
Tobias Büttner: Ich habe sehr viel Neues mitgenommen. Insbesondere den systemischen Blick auf Probleme und deren Lösungen habe ich von der Tagung mitgenommen. Auch in der Arbeit als Verhaltenstherapeut kann ich diesen nutzen, indem ich den Blick von der reinen Beschreibung des Problems mehr auf das System der Person selbst und des sozialen Umfelds lenke.
DGVT: Zukunftsmusik zur „affair“ VT und ST?
Tobias Büttner: Wir werden uns Anfang 2025 als Organisationsteam zusammensetzen und mit der Planung der nächsten Tagung beginnen, die dann vermutlich in zwei Jahren stattfinden wird. Thematisch soll der Einbezug von Familien, Kindern und Jugendlichen in ST und VT im Fokus stehen.

Zur Person Tobias Büttner:
Angestellt tätig als Psychologischer Psychotherapeut für Erwachsene in einer ambulanten Praxis in Bonn. Zudem als Dozent tätig. 2014 im Rahmen der Ausbildung in die DGVT eingetreten, seit 2019 in der Aus- und Weiterbildungskommission der DGVT. Seit 2023 für die AWK im erweiterten Vorstand der DGVT. An der DGVT schätze ich die Gestaltungsmöglichkeiten und den wertschätzenden Umgang miteinander. In meiner therapeutischen Arbeit interessiere ich mich besonders für kontextuelle Therapieformen wie ACT, prozessbasierte Verhaltenstherapie und arbeite neben der Einzeltherapie gerne mit Gruppen.
Interview: Hanna Pfeiffer, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit (DGVT), im Oktober 2024
Die Ansicht des Interviews als PDF finden Sie hier.