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Psychotherapie mit hochbegabten Erwachsenen

Christina Heil

(2 Fortbildungspunkte / Gebühren: 15,50 Euro DGVT-Mitglied; 18,50 Euro Nicht-Mitglied)

Zusammenfassung

Intellektuelle Hochbegabung bei Erwachsenen ist ein bisher wenig beachtetes Thema in der Psychotherapie. Da die meisten hochbegabten Erwachsenen nicht um ihre Hochbegabung wissen, diese für ihr Leben jedoch äußerst bedeutsam ist, kommt Psychotherapeuten[1] zunächst die Aufgabe der Identifikation zu. Dieser Artikel informiert über häufige Merkmale hochbegabter Menschen, anhand derer sich eine Hochbegabung vermuten lässt, was als Grundlage für eine Intelligenzdiagnostik dienen kann. Des Weiteren wird der Zusammenhang zwischen Hochbegabung und hoher Sensitivität erläutert sowie die Rolle der Hochbegabung bei der Diagnostik und Ätiologie psychischer Erkrankungen. Psychotherapeuten erhalten außerdem Anregungen für die Erkennung und Bewältigung eigener Gefühle und Einstellungen bezüglich der Hochbegabung, für die Beziehungsgestaltung und die therapeutische Arbeit mit hochbegabten Menschen und für mögliche therapierelevante Themen bei dieser Personengruppe.

Dipl.-Psych. Christina Heil ist Psychologische Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) und in eigener Privatpraxis tätig. Ihre Schwerpunkte sind Hochbegabung sowie Körper- und Sinnesbehinderungen.

 

Psychotherapie mit hochbegabten Erwachsenen

Intelligenz gilt als relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal (Rinn & Bishop, 2015; Stapf, 2010).[1] Definitionsgemäß sind 2,27 % der Bevölkerung hochbegabt. Diese erreichen in einem wissenschaftlich anerkannten Intelligenztest einen Intelligenzquotienten (IQ) von mindestens 130. Der IQ hochbegabter Menschen befindet sich mehr als zwei Standardabweichungen über dem Mittelwert von 100 und ist hiermit ebenso weit vom Durchschnitt entfernt wie der IQ von Menschen mit Intelligenzminderung. Vermutlich wurden die meisten Psychotherapeuten noch nicht mit dem Thema Hochbegabung bei Erwachsenen konfrontiert. Zum einen liegt dies darin begründet, dass Hochbegabung in Deutschland bisher kein Bestandteil der psychotherapeutischen Aus- und Weiterbildung ist und es somit nur äußerst wenige Psychotherapeuten mit Kenntnissen auf diesem Gebiet gibt. Zum anderen wissen gemäß Angaben des Hochbegabtenvereins Mensa e. V.[2] die meisten hochbegabten Erwachsenen noch gar nicht um ihre Hochbegabung. In den letzten drei Jahrzehnten gewann die Identifikation, Förderung und Beratung hochbegabter Kinder und ihrer Familien zunehmend an Bedeutung (Stapf, 2010). Die Beschäftigung mit der psychischen Situation hochbegabter Erwachsener begann erst deutlich später (Fietze, 2013; García, 2012) und entsprechend jung ist die Literatur hierzu.

Eine weit verbreitete Annahme unter mit Hochbegabung unerfahrenen Menschen ist, dass ein sehr hohes kognitives Potenzial ausschließlich als Vorteil zu betrachten ist, der Erfolg im Leben begünstigt und keiner gesonderten Beachtung bedarf. Doch dies entspricht nicht der Realität hochbegabter Menschen. Zweifelsohne ist Hochbegabung eine große Ressource, doch sie benötigt förderliche Bedingungen, um sich optimal entfalten zu können, und bringt aufgrund der Andersartigkeit für einen Großteil der Menschen auch zahlreiche Herausforderungen mit sich. Psychotherapeuten, die sich auf Hochbegabung spezialisiert haben (Brackmann, 2017; Siaud-Facchin, 2017; Webb, Amend, Webb, Goerss & Hornung, 2015), berichten aus ihrer Erfahrung, dass es für hochbegabte Menschen äußerst schwer ist, einen geeigneten Psychotherapeuten zu finden. Häufig fühlen sie sich mit ihren Anliegen unverstanden und erfahren Ablehnung aufgrund ihrer Andersartigkeit, was oft zu Therapieabbrüchen führt. Zudem erhalten sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Fehldiagnosen und unangemessene Behandlungen, da von unerfahrenen Psychotherapeuten Hochbegabungsmerkmale als Symptome psychischer Störungen missgedeutet werden. Die Autoren plädieren deshalb dafür, Hochbegabung beim Beziehungsaufbau, bei der Diagnostik und im Therapieprozess unbedingt zu berücksichtigen. In den USA wurde aus dieser Notwendigkeit heraus bereits 1981 die Organisation Supporting the Emotional Needs of the Gifted[1] gegründet, die Fortbildungen und Austauschmöglichkeiten für Fachpersonen, hochbegabte Menschen und deren Familien anbietet. In Deutschland ist Frau Dipl.-Psych. Frauke Niehues meines Wissens die erste Kollegin, die für Psychotherapeuten Fortbildungen zum Thema Hochbegabung anbietet und auch eine Mailingliste zur Vernetzung eingerichtet hat. Nähere Informationen findet man auf ihrer Website.[2]

Der vorliegende Artikel gibt Psychotherapeuten schulenübergreifende Anregungen für die Arbeit mit hochbegabten Erwachsenen.

 

Identifikation hochbegabter Menschen in der Psychotherapie

Die Frage der Identifikation stellt sich bei all denjenigen hochbegabten Menschen, die bei der Aufnahme einer Therapie noch nicht um ihre Hochbegabung wissen. Psychotherapeuten sollten stets auf Merkmale achten, die mit einer Hochbegabung einhergehen können, und bei einem entsprechenden Verdacht eine Intelligenzdiagnostik in die Wege leiten, die dann Gewissheit liefert. In der Literatur finden sich zahlreiche Checklisten mit Merkmalen hochbegabter Erwachsener (Brackmann, 2017; Niklas & Niklas, 2017; Rinn & Bishop, 2015; Scheidt, 2005; Schwiebert, 2015), wobei alle Autoren etwas andere Schwerpunkte setzen. Da es sich bei Hochbegabung um eine intellektuelle Fähigkeit handelt, die sich in hohen Leistungen manifestieren kann, aber nicht muss, sollten Psychotherapeuten keinesfalls davon ausgehen, dass alle Hochbegabten einen hohen Bildungsgrad haben und beruflich erfolgreich sind. Umgekehrt sollte auch nicht von einer hohen Stellung auf der Karriereleiter auf Hochbegabung geschlossen werden. Mit Selbsteinschätzungen bezüglich der Geschwindigkeit und Komplexität des Denkens, des Wortschatzes und des Wissens gestaltet es sich ebenfalls schwierig, da diese stark vom Selbstkonzept und von den sozialen Vergleichsmöglichkeiten des jeweiligen Menschen abhängen. Hochbegabte neigen häufig zu Selbstkritik und Perfektionismus, weshalb sie sich oft gar nicht für herausragende Denker halten. Die im Folgenden dargestellten Merkmale beziehen sich daher auf Emotionen und Verhaltensweisen, die häufig mit intellektueller Hochbegabung einhergehen. Diese sind einer Selbstbeurteilung besser zugänglich. Zu beachten ist, dass es den „typischen Hochbegabten“ nicht gibt und die Besonderheiten nicht bei allen hochbegabten Menschen im gleichen Ausmaß ausgeprägt sind.

Häufige Emotionen und Verhaltensweisen:

  • Beständiges und vielschichtiges Denken: Hochbegabte Menschen integrieren in einen Denkprozess schnell vielfältige Überlegungen, ziehen Vergleiche heran oder übertragen einmal erkannte Lösungsmuster auf andere Probleme (Brackmann, 2017). Sie selbst bemerken dann, dass sie über zahlreiche Themen sehr intensiv nachdenken. Dies kann als Freude am Denken erlebt werden, aber auch als belastend, wenn es ihnen schwerfällt abzuschalten und zur Ruhe zu kommen.
  • Großer Wissensdurst und Suche nach geistiger Herausforderung: Hochbegabte Menschen fallen zumeist schon in der Kindheit durch sehr viele und tiefgründige Fragen auf. Sobald sie lesen können, dienen Bücher als weitere wichtige Wissensquelle. Im Erwachsenenalter zeichnen sie sich oft dadurch aus, dass sie immer wieder auf der Suche nach neuen geistigen Herausforderungen sind, indem sie beruflich oder privat Projekte initiieren, an ihrem Arbeitsplatz Abläufe zu optimieren versuchen oder den Job wechseln, um sich in ein neues Interessensgebiet einzuarbeiten. Eine Studie von Hossiep, Frieg und Frank (2013) ergab, dass sich hochbegabte Erwachsene im Beruf vor allem durch eine hohe Gestaltungsmotivation auszeichnen.
  • Hinterfragen von Autoritäten und Konventionen: Ein weiteres Merkmal vieler hochbegabter Menschen ist das kritische Hinterfragen der Aussagen von Autoritätspersonen wie Eltern, Lehrern, Vorgesetzten oder Politikern und das Infragestellen gesellschaftlicher Konventionen. Sie nehmen die Dinge nicht als gegeben hin, sondern denken und argumentieren selbst und lehnen Vorgaben ab, sofern diese ihnen unsinnig, unlogisch oder widersprüchlich erscheinen.
  • Vielfältige Interessen: Hochbegabte Menschen haben sehr häufig bereits in der Kindheit Interessen, die kaum von Gleichaltrigen geteilt werden. Sie befassen sich mit komplexen Fragen aus Bereichen wie Astronomie, Technik, Politik, Religion oder Philosophie, mögen Denk- und Knobelspiele und erlernen oft schon im Vorschulalter aus eigener Motivation das Lesen, Schreiben oder Rechnen. Im Erwachsenenalter können die vielfältigen Interessen manchmal zu einer großen Unsicherheit hinsichtlich der Berufswahl führen.
  • Gefühl der Andersartigkeit und des Unverstandenseins: Das Denken hochbegabter Menschen wird von anderen oft als vorauseilend, sprunghaft oder zu kompliziert empfunden. Hochbegabten fällt es oft schwer, Small Talk zu führen, da sie sich lieber tiefgründig mit Themen auseinandersetzen. Und häufig finden sie nur schwer andere Menschen, die ihre Interessen im selben Ausmaß teilen. Auch verfügen sie zumeist über einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und hohe moralische Ansprüche, weshalb sie andere Menschen schnell als ungerecht, oberflächlich, heuchlerisch oder nachlässig erleben. Somit haben sie es schwer, sich zugehörig zu fühlen und echte Freunde zu finden. Dies kann sich bereits im Kindesalter äußern, entweder in Einzelgängertum, Hinwendung zu deutlich älteren Kindern oder durch Anpassung an die Mehrheit, obwohl ihnen deren Verhaltensweisen nicht entsprechen. Vor allem wenn sie nicht um ihre Hochbegabung wissen, schreiben sie sich oft selbst die Schuld an den zwischenmenschlichen Problemen zu, erleben sich als sozial inkompetent und trauen den eigenen Gefühlen und Wahrnehmungen nicht. Manche glauben aufgrund ihrer Andersartigkeit sogar, an einer psychischen Erkrankung zu leiden.
  • Langeweile bei Routineaufgaben: Hochbegabte haben häufig einen starken Widerwillen gegen einfache Alltagstätigkeiten im Haushalt und sich ständig wiederholende, gleichbleibende Aufgaben, da diese ihnen keinen geistigen Anreiz bieten. Aufschiebeverhalten und Vermeidung können die Folge sein. Auch Fehler bei zu einfachen Aufgaben können vorkommen, da Hochbegabte dann unkonzentriert sind oder zu kompliziert denken.
  • Starke Beschäftigung mit existenziellen Themen: Zahlreiche hochbegabte Menschen befassen sich schon in der Kindheit mit existenziellen Themen wie beispielsweise Krieg, Hunger oder Tod. Sie sind sehr betroffen vom Leid anderer Menschen, haben eine hohe Empathiefähigkeit und wollen Missstände beheben (Webb, Gore, Amend & DeVries, 2017). Hochbegabte Erwachsene sind häufig auf der Suche nach einer persönlichen Berufung, die ihrem Leben eine Bedeutung verleiht. Sie möchten einen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten (Schwiebert, 2015).

Diese Merkmale können durch entsprechende Fragen und ergänzend durch Beobachtungen des Psychotherapeuten exploriert werden. Neben einer hohen Redegewandtheit und einer raschen Auffassungsgabe zeichnen sich Hochbegabte oft dadurch aus, dass sie sich schon ein fundiertes Wissen über psychische Erkrankungen und Therapiemethoden angeeignet haben, dem Psychotherapeuten viele komplexe Fragen stellen, das therapeutische Vorgehen kritisch hinterfragen, gute Argumente und Transparenz verlangen und sich nicht mit Standardinterventionen zufrieden geben. Bei manchen hochbegabten Menschen zeigen sich die Besonderheiten erst, wenn die therapeutische Beziehung gefestigt ist, da sie zu Beginn sehr große Scham für die aus ihrer Sicht unerklärliche Andersartigkeit empfinden und stark um Anpassung bemüht sind.

Wenn ein Verdacht auf eine Hochbegabung besteht, sollten Psychotherapeuten dies gegenüber dem Patienten begründen und diesem Möglichkeiten zur Intelligenzdiagnostik nennen. Sie können die Testung entweder selbst durchführen, oder, falls sie wenig Erfahrung in diesem Bereich haben, den Patienten an den Expertenkreis Hochbegabung des Berufsverbandes deutscher Psychologinnen und Psychologen[1] oder an den Hochbegabtenverein Mensa e. V. verweisen. Mensa bietet in vielen deutschen Städten monatlich wissenschaftlich anerkannte Gruppen-Intelligenztests an. Wenn eine Einzeltestung bevorzugt wird, kann auf den genannten Websites nach Psychologen gesucht werden, die Hochbegabungsdiagnostik anbieten. Eine besondere Herausforderung ergibt sich, wenn zu erwarten ist, dass eine Intelligenzdiagnostik beispielsweise aufgrund von Prüfungsangst, einer Depression oder einer Zwangserkrankung wenig aussagekräftig sein wird. In einem solchen Fall sollte mit der Testung gewartet werden bis die Symptome der psychischen Erkrankung soweit remittiert sind, dass sie die Leistung im Test nicht mehr wesentlich behindern. Es sollte dann eine Einzeltestung bevorzugt werden, da in diesem Rahmen Störfaktoren wie Aufregung, schnelles Entmutigtsein oder hohe Ablenkbarkeit erkannt werden und in die Interpretation der Ergebnisse einfließen können.

Wenn der Patient eine Testung ablehnt oder diese zu Beginn der Therapie nicht durchgeführt werden kann, sollte dennoch der Verdacht auf Hochbegabung bei der Therapieplanung berücksichtigt werden. Auch ohne sichere Diagnose kann ein Mensch ein besseres Verständnis für sich und seine Lebensgeschichte entwickeln, wenn er über Hochbegabungsmerkmale informiert wird, Fachliteratur liest, zu hochbegabten Menschen Kontakt aufnimmt und so einen Eindruck gewinnen kann, ob er sich dieser Gruppe zugehörig fühlt. Das Netzwerk SensIQue für hochbegabte und hochsensible Menschen[2] ermöglicht beispielsweise eine Mitgliedschaft ohne testdiagnostisch nachgewiesene Hochbegabung.

 

Beziehungsgestaltung und therapeutische Arbeitsweise

Die Hochbegabung eines Patienten kann einen starken Einfluss auf das Beziehungserleben zwischen Patient und Psychotherapeut haben. Beim Psychotherapeuten kann sie Emotionen auslösen, die es zu reflektieren gilt, um hochbegabten Menschen aufgeschlossen und wertschätzend begegnen zu können. Während eine Begabung im sportlichen oder musikalischen Bereich gesellschaftlich allgemein hoch anerkannt ist, erleben intellektuell hochbegabte Menschen sehr häufig eine Mischung aus distanzierter Bewunderung und Spott. Im Folgenden soll eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen dargestellt werden: Sport und Musik gelten für die meisten Menschen als Freizeitbeschäftigungen und werden weniger mit persönlichen Leistungsansprüchen assoziiert. Demgegenüber werden alle Menschen im Lauf ihrer schulischen und beruflichen Laufbahn mit intellektuellen Herausforderungen und dadurch auch mit ihren Grenzen in diesen Bereichen konfrontiert. Die Begegnung mit einem hochbegabten Mensch, dem kognitive Aufgaben offensichtlich leichter fallen, führt einem nicht hochbegabten Mensch die eigenen Grenzen vor Augen, was Gefühle von Bedrohung und Neid auslösen kann. Hinzu kommt, dass sich für viele Menschen aus intellektuellen Hochleistungen aufgrund ihres kognitiven und abstrakten Charakters nicht unmittelbar ein Sinn erschließt, auch wenn diese langfristig gesehen für die Menschheit äußerst wertvoll sind. Im Gegensatz dazu erleben Menschen bei Konzerten oder Sportveranstaltungen unmittelbar angenehme Gefühle wie Freude, Begeisterung oder Spannung. Wenn es aus subjektiver Sicht wenig gibt, was man Gefühlen von Bedrohung und Neid entgegensetzen kann, ist die Folge häufig eine Abwehrreaktion, die sich darin äußern kann, dass man zu hochbegabten Menschen Distanz hält, sie belächelt, verspottet oder entweder ihre Schwächen oder ihre Kompetenzen überbetont. Während die Überbetonung der Schwächen diese Menschen abwertet, bestärkt die Überbetonung ihrer Stärken die Haltung, dass Hochbegabte so gut alleine klar kommen, dass man sie nicht beachten muss. Um Gefühle von Bedrohung oder Neid abzuschwächen kann es für Psychotherapeuten sehr hilfreich sein, sich klar zu machen, dass die Gesellschaft die gesamte Bandbreite menschlicher Fähigkeiten benötigt, um sowohl die alltagspraktischen Aufgaben als auch anspruchsvolle Herausforderungen zu bewältigen. Hochbegabte Menschen sind somit nicht wertvoller als weniger intelligente Menschen, sondern verfügen lediglich über ein sehr hohes intellektuelles Potenzial, das es anzuerkennen gilt. Des Weiteren sollte man sich ins Bewusstsein rufen, dass Hochbegabte nicht weniger Probleme als andere Menschen haben, sondern vielfach eher andere Probleme.

Im Therapieprozess sollte die Hochbegabung ebenfalls berücksichtigt werden. Manche Psychotherapeuten fühlen sich durch Vorwissen und kritische Fragen in ihrer Kompetenz angegriffen. Hochbegabte Menschen zeigen ein solches Verhalten aber in der Regel nicht, um Fachpersonen herabzuwürdigen, sondern es ist lediglich ihre Art, sich mit den Themen auseinanderzusetzen, und es sollte daher als Zeichen von Motivation und Interesse angesehen werden. Wichtig ist außerdem, dass sich Psychotherapeuten authentisch verhalten und nicht versuchen, Unwissenheit zu überspielen oder Fragen auszuweichen, denn hierdurch werden sie für hochbegabte Menschen unglaubwürdig und werden somit von ihnen auch nicht als vertrauenswürdig erlebt. Des Weiteren sollten Psychotherapeuten bei jeder Intervention überprüfen, inwiefern sie zu den spezifischen Besonderheiten des hochbegabten Menschen passt und sollten sie gegebenenfalls entsprechend modifizieren. Keinesfalls sollte versucht werden, Hochbegabungsmerkmale wegzutherapieren, um den Menschen besser an die Mehrheit anzupassen. Die Charakteristika der Hochbegabung sind als Teil der gesunden Persönlichkeit zu verstehen, und diese Menschen sollten darin unterstützt werden, in ihrer Individualität ein glückliches Leben zu führen.

 

Zusammenhang zwischen Hochbegabung und hoher Sensitivität

Zahlreiche Autoren postulieren, dass Hochbegabung stets mit einer hohen Sensitivität einhergehe (Brackmann, 2016, 2017; Schwiebert, 2015; Siaud-Facchin, 2017; Webb et al., 2017). Die hohe Sensitivität wird teilweise als Übererregbarkeit (overexcitability) und teilweise als Hochsensibilität bezeichnet. Das Konstrukt der Übererregbarkeit geht auf Kazimierz Dąbrowski (1964) zurück, der in seiner Theorie der positiven Desintegration davon ausgeht, dass Menschen mit einem hohen Entwicklungspotenzial übererregbar sind. Dabei beschreibt er Übererregbarkeit als Zusammenspiel einer hohen intellektuellen, imaginativen, emotionalen, sensorischen und psychomotorischen Sensitivität. Hochsensibilität wurde erstmals von Elaine und Arthur Aron (Aron & Aron, 1997) beschrieben. Sie verstehen diese als tiefe Verarbeitung von Sinneseindrücken, Tendenz zur Reizüberflutung und starke Intensität des emotionalen Erlebens, einschließlich der Gefühle anderer Menschen. Hochsensibilität kann demnach mit einem feinen ästhetischen Empfinden, einem intensiven Erleben von Intimität und Beziehungen und hoher Empathie einhergehen, jedoch auch mit schnellerer Erschöpfung und geringerer Belastbarkeit.

Es liegen aktuell noch keine wissenschaftlich gesicherten Befunde vor, da die Forschung zur hohen Sensitivität noch am Anfang steht und es kontroverse Diskussionen um die Definition, Messbarkeit und Abgrenzung der damit verbundenen Konstrukte gibt (Jack, 2014a, 2014b). Erste Hinweise liefert jedoch eine Metaanalyse von Winkler und Voight (2016) mit zwölf Studien zum Zusammenhang zwischen intellektueller Hochbegabung und Übererregbarkeit. Hierbei zeigten sich bei intellektuell Hochbegabten signifikant höhere Werte in der intellektuellen, imaginativen, emotionalen und sensorischen Sensitivität im Vergleich zu Nichthochbegabten mit mittleren Effektstärken bei der intellektuellen und imaginativen Sensitivität und geringen Effektstärken bei der emotionalen und sensorischen Sensitivität. Diese Ergebnisse sprechen für einen gewissen Zusammenhang zwischen Hochbegabung und Übererregbarkeit, der in den Bereichen am ausgeprägtesten ist, die den kognitiven Merkmalen hochbegabter Menschen am ähnlichsten sind. Die Ergebnisse lassen allerdings keine Aussage über die Größe dieses Zusammenhanges zu.

Zu beachten ist zudem, dass sich gemäß aktueller Umfragen 15 bis 20 % der Menschen als hochsensibel erleben (Jack, 2014a), diese Gruppe also deutlich größer ist als die der Hochbegabten und somit eine hohe Sensitivität als eine von Hochbegabung unabhängige Eigenschaft angesehen werden sollte.

 

Rolle der Hochbegabung bei der Diagnostik und Ätiologie psychischer Erkrankungen

Webb et al. (2015) erläutern zahlreiche Fallen, in die Psychotherapeuten geraten können, wenn sie Hochbegabungsmerkmale fälschlicherweise als Symptome psychischer Erkrankungen interpretieren. Im Wesentlichen nennen sie drei Grundregeln, die bei der Diagnostik zu beachten sind:

  1. Für die Beurteilung sollten nicht nur die Symptome herangezogen werden, sondern stets auch deren Ursachen. Als Beispiel sei hier die starke Beschäftigung mit speziellen Themen und ein geringes Interesse an den Menschen in der näheren Umgebung genannt. Menschen mit einer Asperger-Störung zeigen dieses Verhalten, weil es ihnen an kommunikativen Fertigkeiten fehlt und sie stereotype Interessen haben. Ein hochbegabter Mensch verhält sich hingegen möglicherweise so, weil er sich in ein Gebiet seiner Begabung vertieft und er aufgrund seiner Andersartigkeit im Denken wenig Zugang zu den durchschnittlich intelligenten Menschen in seinem Umfeld findet.
  2. Es sollte stets geprüft werden, ob die Symptome über verschiedene Situationen hinweg bestehen bleiben oder lediglich in einzelnen Situationen auftreten, in denen sie durch die Hochbegabung erklärt werden können. Ein hochbegabter Mensch, der sich normalerweise stark zurückzieht und sich auf eigene Interessen konzentriert, kann beispielsweise in einer Gruppe von Hochbegabten sehr kontaktfreudig und sozial kompetent sein.
  3. Vor der Stellung einer Diagnose sollte stets berücksichtigt werden, dass Symptome nur dann krankheitswertig sind, wenn sie bedeutsames Leiden oder Beeinträchtigung in wichtigen Lebensbereichen hervorrufen.

Hochbegabte Menschen leiden etwa genauso häufig an psychischen Erkrankungen wie Nichthochbegabte (Cross & Cross, 2015; Stapf, 2010; Webb et al., 2017). Die Längsschnittstudien von Terman (1926; Terman & Oden, 1947a, 1947b) und Rost (1993) ergaben, dass die untersuchten hochbegabten Kinder und Jugendlichen größtenteils schulisch erfolgreich, gut integriert, sozial angepasst, psychisch stabil und selbstsicher waren. Hinsichtlich hochbegabter Erwachsener folgern Rinn und Bishop (2015) aus zahlreichen Studien, dass diese zumeist erfolgreich und mit ihrem beruflichen und privaten Leben zufrieden sind. Cross und Cross (2015) leiten aus den Forschungsergebnissen ab, dass psychische Erkrankungen bei Hochbegabten oft andere Ursachen haben als bei Nichthochbegabten. Beispielsweise können hohe Leistungsansprüche in der Herkunftsfamilie die Entstehung von Perfektionismus begünstigen. Als Ursache für Angsterkrankungen, Depressionen und Suizidalität werden widersprüchliche Botschaften durch das soziale Umfeld, die asynchrone Entwicklung hochbegabter Menschen, eine hohe Sensitivität, Überengagement in vielfältigen Lebensbereichen, eine übergroße Fokussierung auf Leistungsexzellenz, Ausgrenzungserfahrungen, soziale Isolation, eine starke Antizipation von Gefahren und das Fehlen kognitiver Herausforderungen genannt. Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass sich hochbegabte Menschen, die Suizidabsichten haben, besser über Suizidmethoden informieren und möglicherweise schneller erfolgreich einen Suizid begehen als dies bei Nichthochbegabten der Fall ist. Webb et al. (2015) benennen Verzweiflung bei der Suche nach Sinn und Bedeutung im Leben als Ursache für die so genannte existenzielle Depression bei Hochbegabten.

Bedeutsame Fertigkeiten für hochbegabte Menschen

Aus den Merkmalen hochbegabter Menschen und den Herausforderungen und Belastungen, die bei ihnen mit der Entstehung psychischer Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, lassen sich Fertigkeiten ableiten, die für ihre Lebenszufriedenheit und Lebensqualität bedeutsam sein können. Die im Folgenden dargestellten Fertigkeitsbereiche können individuell um weitere Aspekte ergänzt werden. Im Rahmen der Therapie kann exploriert werden, inwiefern sie für den Patienten eine Rolle spielen und wo es eine Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand gibt, die therapeutisch bearbeitet werden sollte.

Bedeutsame Fertigkeiten:

  • Selbstverständnis und Selbstwert als hochbegabter Mensch: Dies ist vor allem für spät erkannte Hochbegabte ein zentrales Thema, da sie häufig viele Jahre ihres Lebens unter Gefühlen von Unzugehörigkeit, Minderwertigkeit, Scham oder Schuld gelitten haben. Die Aufgabe des Psychotherapeuten besteht darin, diesen Menschen die Ergebnisse der Intelligenzdiagnostik und die Hochbegabungsmerkmale zu erläutern und sie zu ermutigen, sich einem Hochbegabtenverein oder -netzwerk anzuschließen. So kann es diesen Menschen gelingen, sich in die Gruppe der Hochbegabten einzuordnen, ihre Eigenschaften in einem anderen Licht zu bewerten und mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sie so mögen und anerkennen wie sie sind. Es kann hierdurch eine zweite soziale Vergleichsnorm entstehen, die sich stabilisierend auf den Selbstwert auswirkt. Für den Kontakt mit Nichthochbegabten kann es sehr hilfreich sein, sich der Subjektivität ablehnender Reaktionen und deren Hintergründe bewusst zu werden. So können hochbegabte Menschen verstehen, dass Ablehnung häufig gar nichts mit ihnen selbst zu tun hat, sondern vielmehr mit den Gefühlen und Einstellungen der ablehnenden Person.
  • Umbewertung der Vergangenheit: Für spät erkannte Hochbegabte ist es von großer Bedeutung, die neue Erkenntnis nicht nur auf die Gegenwart anzuwenden, sondern die gesamte bisherige Biographie unter dem Aspekt der Hochbegabung zu betrachten. So können eigene Gefühle und Verhaltensweisen und Reaktionen von Eltern, Geschwistern, Lehrern oder Mitschülern verständlich werden. Webb et al. (2017) schildern, dass hochbegabte Kinder häufig von ihren Eltern und Lehrern als anstrengend erlebt werden, es zu Hause und in der Schule schnell zu Machtkämpfen kommen kann, Eltern sie aufgrund ihres kognitiven Potenzials oft mit eigenen emotionalen Belangen überfordern, sie parentifizieren oder ihnen in der Familie zu viel Macht geben, sie vor allem in der Schule an kognitiver Unterforderung leiden, ihre Entwicklung häufig asynchron verläuft und sie von Gleichaltrigen vielfach ausgeschlossen, belächelt, verspottet oder sogar gemobbt werden. Fietze (2013) betont, dass vor allem hochbegabte Frauen häufig in der Kindheit und Jugend vermittelt bekamen, dass sie dumm sind oder ihre Begabung keine Beachtung verdient hat.
  • Befriedigende Beziehungen: Sofern hochbegabte Menschen unter einem Mangel an befriedigenden Beziehungen leiden, sollten sie ermutigt werden, sich Gemeinschaften von Menschen mit ähnlichen Interessen oder Gruppen von Hochbegabten anzuschließen. Eine Studie von Dijkstra, Barelds, Groothof, Ronner und Nauta (2012) ergab, dass die empfundene Ähnlichkeit bei hochbegabten Menschen ein bedeutsamerer Prädiktor für gelingende Beziehungen war als bei Nichthochbegabten. Vor allem für hochbegabte Frauen kann die Partnersuche eine große Herausforderung sein, da Männer tendenziell weniger intelligente Partnerinnen bevorzugen, während Frauen eher einen Partner auf Augenhöhe oder mit höherem Intellekt suchen.
  • Kognitive Herausforderungen: Für hochbegabte Menschen ist es essenziell, ihr Potenzial nutzen zu können. Gelingt dies nicht, steigt die Gefahr für Unzufriedenheit und Depression. Kognitive Herausforderungen können auf verschiedenen Wegen geschaffen werden: durch einen anspruchsvollen Beruf, Projekte und Aktivitäten in der Freizeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten. Es sollte individuell das passende Maß an Herausforderung gefunden werden. Hinsichtlich des Berufes fühlen sich hochbegabte Menschen aufgrund ihrer zumeist sehr hoch ausgeprägten Gestaltungsmotivation oft mit Tätigkeiten am wohlsten, die ihnen neben der Herausforderung auch ein hohes Maß an Autonomie und Kreativität ermöglichen (Rinn & Bishop, 2015). Zahlreiche Hochbegabte entscheiden sich daher für den Weg in die Selbständigkeit. Wer vielfältige Interessen hat, kann mehrere Berufe parallel ausüben, sich von Zeit zu Zeit einen Jobwechsel zugestehen oder sich einen Beruf schaffen, der mehrere Interessen und Begabungen miteinander vereint (Schwiebert, 2015).
  • Effektive Arbeits- und Lernstrategien: Hochbegabte Menschen bringen diese nicht automatisch mit. Häufig fällt ihnen der Schulstoff bis in die Mittelstufe so leicht, dass sie kaum auf Arbeits- und Lernstrategien angewiesen sind und daher mit dieser Notwendigkeit erst sehr spät konfrontiert werden. Dasselbe gilt oft auch für Anstrengungsbereitschaft und Frustrationstoleranz. Bei Hochbegabten, die deutlich niedrigere Leistungen erbringen als aufgrund ihrer Intelligenz zu erwarten ist, sogenannten Underachievern, können auch noch im Erwachsenenalter motivationale Probleme und unzureichende Arbeits- und Lernstrategien ein wesentliches Thema sein. Beispiele für erstrebenswerte Fertigkeiten sind Zeitmanagement, Arbeiten in Teilschritten, Hinarbeiten auf ein angestrebtes Endziel, Setzen von Prioritäten, Ausdauer, Umgang mit Misserfolgen, Selbstverstärkung und Auffinden geeigneter Lernformen.
  • Sinn im Leben: Webb et al. (2017) betonen, dass es für Menschen mit einer existenziellen Depression sehr wichtig ist, mit ihren Gefühlen verstanden zu werden und andere Menschen zu finden, die ihre Ideale teilen. Es ist daher hilfreich, hochbegabte Menschen zur Kontaktaufnahme mit Gleichgesinnten zu ermutigen, beispielsweise in Hilfsorganisationen, in Vereinen oder in der Politik. Gemeinsam mit anderen können sie an der Verwirklichung ihrer Ideale arbeiten und einen Beitrag zur Verbesserung bestimmter Situationen leisten. Hochbegabten Menschen, die mehr Missstände erkennen, als sie persönlich beseitigen können, und mehr Begabungen haben, als sie im Lauf ihres Lebens umsetzen können, kann es helfen zu erkennen, dass sie als Mensch einen wertvollen Beitrag leisten können, aber sich nicht für alles verantwortlich fühlen sollten, da es noch genügend andere Menschen gibt, die ebenfalls aktiv werden können.
  • Kommunikation mit Nichthochbegabten: Kein hochbegabter Mensch kann und sollte sich ausschließlich unter Hochbegabten aufhalten. Daher ist ein respektvoller und sozial kompetenter Umgang mit nicht hochbegabten Menschen sehr wichtig. Hochbegabte sollten sich beispielsweise darüber im Klaren sein, dass sich viele Nichthochbegabte stark an Autoritätspersonen und gesellschaftlichen Konventionen orientieren, sie häufig eine weniger intensive Auseinandersetzung mit einem Thema als ausreichend erleben, sie mehr Erklärungen benötigen und sehr viele Fragen und lange Diskussionen sie überfordern können. Hochbegabte Menschen sollten dies akzeptieren und in ihrem Verhalten sowohl die eigenen Bedürfnisse als auch die der anderen berücksichtigen, beispielsweise indem sie das, was sie sagen möchten, ausführlicher erklären und darauf achten, dass der Gesprächspartner folgen kann.
  • Gesunder Perfektionismus: Viele hochbegabte Menschen haben sehr hohe Ansprüche an die eigene Leistung. Der gesunde Perfektionismus zeigt sich in hohem Ehrgeiz und begünstigt Erfolg. Die ungesunde Form hingegen führt dazu, dass die betroffenen Personen aus Angst vor Misserfolg eine Aufgabe erst gar nicht angehen oder für deren Fertigstellung so viel Zeit benötigen, dass es sich beeinträchtigend auf das Leistungsergebnis auswirkt. Das Ziel sollte sein, einen ungesunden Perfektionismus in die gesunde Form zu verwandeln. Zahlreiche Hochbegabte fühlen sich unter Druck, etwas Besonderes leisten zu müssen. Hier kann es helfen, das eigene Bild von Hochbegabung zu überdenken und die subjektiv damit verbundene Verpflichtung zu Höchstleistungen in Frage zu stellen. Es kann dann zunächst bei wenig bedeutsamen Aufgaben begonnen werden, deren Bearbeitung zeitlich zu begrenzen, absichtlich Fehler zu machen und deren Konsequenzen zu beobachten. Im weiteren Verlauf kann zu bedeutsameren Aufgaben übergegangen werden. Wichtig ist, den Patienten seine Ziele selbst bestimmen zu lassen und ihm nicht einen Maßstab für angemessenes Verhalten aufzudrängen.
  • Umgang mit Routineaufgaben: Da Routineaufgaben hochbegabten Menschen häufig schwer fallen, sollten sie so weit wie möglich im Alltag minimiert werden und es sollte die damit einhergehende Unlust akzeptiert werden. Jedoch sollten hochbegabte Menschen andererseits auch lernen, dass man langweilige Tätigkeiten nicht gänzlich vermeiden kann und sollten dafür Strategien entwickeln, beispielsweise mehrere Dinge gleichzeitig tun, nebenbei über ein anspruchsvolleres Thema nachdenken oder sich für die Erledigung von Routineaufgaben belohnen.
  • Umgang mit hoher Sensitivität: Hochbegabte Menschen, die eine hohe Sensitivität aufweisen, können diese einerseits als Ressource begreifen, beispielsweise aufgrund ihrer feinen ästhetischen Wahrnehmung, ihrer Freude an Kunst, Musik oder der Natur oder ihres intensiven Erlebens von Beziehungen. Um Überforderungssituationen möglichst selten auftreten zu lassen, sollte der Alltag an die hohe Sensitivität angepasst werden, beispielsweise durch die Schaffung eines ruhigen Arbeitsplatzes, eine ruhige Wohngegend, eine gezielte Auswahl von Kleidung oder Körperpflegeprodukten oder ausreichende Phasen des Alleinseins.
  • Entspannung im Alltag: Auch hochbegabte Menschen brauchen Phasen, in denen sie zur Ruhe kommen und den Kopf frei bekommen können. Worin diese bestehen, sollte individuell exploriert werden, beispielsweise Sport, Musik oder Entspannungsübungen. Bei Menschen, denen es schwer fällt abzuschalten oder die ihr Denken als sehr anstrengend erleben, können Achtsamkeitsübungen hilfreich sein.

 

Fazit

Psychotherapeuten sollten eigene Gefühle und Einstellungen bezüglich der Hochbegabung reflektieren und hochbegabten Menschen aufgeschlossen und wertschätzend begegnen. Kenntnisse über Hochbegabungsmerkmale sind für die Diagnostik und für den Therapieprozess äußerst bedeutsam, um Fehldiagnosen zu vermeiden und angemessen auf den Patienten einzugehen. Hochbegabungsmerkmale sind als Teil der gesunden Persönlichkeit zu begreifen. Psychotherapeuten sollten diese Menschen darin unterstützen, in ihrer Individualität ein glückliches Leben zu führen. Die Arbeit mit hochbegabten Menschen kann für Psychotherapeuten sehr bereichernd sein, da sie dazu anregt, die eigenen Strategien zu überdenken und sich flexibel auf die Bedürfnisse verschiedener Patienten einzustellen.

 

Literatur

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Brackmann, A. (2016). Ganz normal hochbegabt: Leben als hochbegabter Erwachsener. Stuttgart: Klett-Cotta.

Brackmann, A. (2017). Jenseits der Norm – hochbegabt und hochsensibel? Die seelischen und sozialen Aspekte der Hochbegabung bei Kindern und Erwachsenen (9. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta.

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Jack, M. (2014b). Informationsbroschüre des Informations- und Forschungsverbundes Hochsensibilität e. V. Verfügbar unter: www.hochsensibel.org/dokumente/Broschuere.pdf [17.04.2018].

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Erstveröffentlichung in Psychotherapeutenjournal 3/2018, erschienen am 14. September 2018, S. 218-224.

 


[1]

Verfügbar unter: www.die-hochbegabung.de [23.04.2018].

[2]

Verfügbar unter: www.sensique.de [11.06.2018].


[1]

Verfügbar unter: sengifted.org [23.04.2018].

[2]

Verfügbar unter: www.können-macht-spass.de [18.07.2018].


[1] Die kursiv ausgezeichneten Quellen finden Sie abgedruckt am Ende des Artikels, das vollständige Literaturverzeichnis auf der Homepage der Zeitschrift unter www.psychotherapeutenjournal.de.

[2]

Verfügbar unter: www.mensa.de [23.04.2018].


[1] Zu der mit der Ausgabe 4/2017 eingeführten geschlechtersensiblen Schreibweise im Psychotherapeutenjournal lesen Sie bitte den Hinweis auf der vorderen inneren Umschlagseite. Bei dieser Ausgabe handelt es sich um ein Heft in der männlichen Sprachform.